Musik in der Grundschule – Ausgabe 2/22 Leseprobe

Ein bisschen Show muss sein

Gedanken, Tipps und Anregungen zu Aufführungen in der Schule

Meinhard Ansohn

Show als etwas vom Alltag Abgehobenes gibt es überall. Auf Bühnen, Leinwänden und Mattscheiben sind Shows im engeren Sinn „zu Hause“. Aber was ist mit dem Musikunterricht, einer inszenierten Situation außerhalb unserer Wohnung, aber auch im besten Fall abgehoben von dem Lesen-Schreiben-Rechnen-Alltag der Grundschule? Findet da nicht Show im besten Sinn die ganze Zeit lang statt?

Die alltägliche Show

Zwei Jahre lang schon werden Shows mit Publikum abgesagt. Zwei Jahre lang schon sind wir in der Schule vielerorts kaum in der Lage, eine ausführlich vorbereitete Show, Aufführung, Musiktheater usw. für Publikum anzubieten. Unsere Show ist derweil der Unterricht selber. In der Regel die Lehrkraft als Showmaster. Die Kinder wechselweise als Handelnde und als Zuschauende. Superstars und Underdogs, viele Rollen sind oft für lange festgelegt. Wer in der Schule mal Klassenclown war, kennt als Erwachsener oft noch seine ihn stützenden Claqueure. Wer mal die Diva der Klasse war, weiß oft noch, von wo in der Klasse ätzende Kommentare gebracht wurden. Da gibt es mitunter nachhaltige Show-Effekte.
Sich das als Musikunterrichtende bewusst zu machen, ist schon eine halbe Gelingensgarantie für die Show. Eine für alle zugängliche Materialkiste und positive Grundstimmung in der Klasse mit funktionierenden Ritualen braucht es ebenso wie Aufmerksamkeit der Lehrkraft für unvorhergesehene Vorgänge und Empathie für „Schwierige“. Herausforderndes Verhalten lässt sich manchmal nutzbar machen. Dieses für neue Showelemente zu „überakzeptieren“, statt es sofort zu sanktionieren, ist in der Schule genauso wichtig wie professioneller Umgang des Showmasters mit einem betrunkenen Stargast bei Wetten, dass.
Trainieren wir Regelverhalten und Regelbruch als Bühnenboden für den Alltag, deutliche Aussprache als Werkzeug für die Eigenwerbung, Freiräume für improvisierendes Verhalten, das „man sich erlauben“ kann, um ein bisschen Stärke zu gewinnen.

Tanzspiel: Imitation – Vergrößerung – Verkleinerung

In einer Tanzstunde nehmen wir diesmal für das Warmup eine mittelschnelle Musik. Wir tun uns zu zweit zusammen, um einfach durch den Raum zu gehen. Eine geht voran, einer hinterher. Die hintere Person imitiert die Bewegung der vorangehenden. Auf Zeichen oder auf Wechsel in der Musik verändert sich die Imitation in Übertreibung der vorgegebenen Bewegung, danach in Untertreibung und dann wieder zur Imitation. So entsteht gute Beobachtung von Bewegungen und Aufbau von Körperspannung. Der Impuls, andere manchmal gern nachzuäffen, wird durch die Erlaubnis in qualitative Bewegungserfahrung transformiert.
Eine Klasse dafür in Aktive und zuschauenden Außenkreis aufzuteilen, bringt zusätzlich Beobachtungs- und Beurteilungsqualiität. Lachen über Handlungen ist dabei erlaubt, über Personen nicht.

Ein Sprechvers zur Lage als Gruppenarbeit

Sprechen wir über Zeiten, wo wir uns länger nicht gesehen haben. Was war spannend? Was war langweilig, anstrengend? Was war gut, was belastend? Eine Möglichkeit der rhythmisch- musikalischen Aufarbeitung ist der Rhythmusvierzeiler Bisschen Show muss schon sein.
Ein Kind liest den Text und spricht langsam, aber überdeutlich wie z. B. bei einer Fernsehansage. Dann sprechen zwei im Wechsel. Beim wiederholten Sprechen übertreiben wir mit deutlicher Artikulation, rhythmischem Staccato und dann auch noch die Sprachmelodie und eventuell unterschiedliche Lautstärken. Das Ganze soll ein Sprechchor mit Percussion werden, ein Slogan für unseren Unterricht.
Nach dem Lesen teilen wir uns in vier bis sechs Gruppen und stellen uns Fragen der instrumentalen Umsetzung: Wie könnte man ihn mit Klängen begleiten? Im Rhythmus mit Trommeln oder Cajóns? Als sich steigernde Klangcollage mit unterschiedlichen Instrumenten? Ein Gong am Anfang oder Schluss? Ein softer Keyboardklang durchgehend unter dem Spruch?
Wie bei jeder Präsentation von Gruppenarbeiten, aber auch Vorträgen gilt eine Grundregel für – bewusst gestaltete – Shows aller Art: Sie braucht ihren Platz in Raum und Zeit. Die präsentierende Gruppe verdient Respekt. Sie kann ihre Show ansagen, durchführen und einen verdienten Applaus bekommen. Danach lässt sich über die Qualitäten und mögliche Varianten sprechen.

Merkmale der Show

In der Quiz-, Rätsel, Casting-, Talkshow gibt es eine oder mehrere ModeratorInnen. Bei der Tanz-, Musik-, Theater-, Zirkusshow gibt es Menschen, die Regie führen bzw. Abläufe aufschreiben, aber auch da oft jemanden, der oder die durch das Programm führt. Irgendjemand ist also immer Boss, sichtbar oder hinter den Kulissen.
Die Show hat ein Thema, verschiedene Handlungsabläufe mit Höhepunkten. Sie kann laut und leise sein. Am Ende gibt es ein erkennbares Finale, eine Art Schlusspunkt. Danach ist oft eine Erkennungsmelodie zu hören. Im Fernsehen meist am Anfang.
Welche Shows kennen wir? Wie finden wir sie? Ein Unterrichtsgespräch darüber könnte mit einer Aufgabenverteilung enden: Wer kümmert sich um Fotos und Titel von Shows, die wir im Musikraum für eine Zeit aufhängen? Was davon hätten wir Lust, in eigener Version zu übernehmen und auszuprobieren?

Heute ist EUER Tag

Außer der alltäglichen „Show“ im Klassen- und Fachraum gibt es im Schuljahr auch besondere Tage wie z. B. den letzten Schultag vor den Ferien oder irgendeinen anderen Tag, der sich gut anfühlt: erstmalig im Jahr sonnig, über 20 Grad im Frühling oder der erste Schnee oder das Gründungsdatum der Schule. Oder ein Tag, der sich von Anfang an gut gelaunt anfühlt.
Das ist eine Gelegenheit, die Kinder den Verlauf der Musikstunde bestimmen zu lassen, sofern sie nicht schon normalerweise in die Unterrichtsplanungen einbezogen sind. So ziemlich jede Klasse hat Lieblingsstunden: Musik erfinden, Wunschlieder singen, Lieblingsmusik mitbringen, freies Tanzen, Quizstunde usw.

Ein Lied zum Thema Langeweile

„Langeweile, du bist die Mutter der Musen“, schrieb Goethe. Kinder würden heute meist sagen: „Stimmt nicht! Goethe ist selber langweilig.“ Aber es lohnt sich, die Langeweile mehrmals auszuprobieren. In Lockdownzeiten gab es genug Gelegenheiten dafür.
Wer sich sogar freiwillig der „langen Weile“ ohne konkreten Plan aussetzt, wird oft nach einiger Zeit mit kreativen Ideen belohnt. Im Sinne von innerer Show: Erst ist der Vorhang und es ist dunkel, dann kommt womöglich ein Licht, eine Idee und dann im besten Fall eine neue Beschäftigung mit etwas, das sich zum Ereignis auswachsen kann. Man möchte es vielleicht teilen und/oder jemandem zeigen. Es wird eine Schau aus dem Nichts heraus, selbst ausgedacht, selbst entwickelt.
Die Schulzeit wird oft als langweilig empfunden. Es scheint immer ein gleiches Schema abzulaufen oder man kommt persönlich nicht vor oder es gibt zu wenig zu lachen oder zu machen. Das Lied zum Thema gibt Gesprächsanlass und kann – bei entspannter Gesundheitslage – Eltern oder anderen Klassen vorgesungen werden.

Material sammeln für „bessere Zeiten“

Das Lied Langeweile entstammt einer Schulchorshow zum Thema „Ach, du liebe Zeit“ von 1997, als Aufführungen einfach möglich waren. Lieder vom Mittelalter bis in die Zukunft, von Tag und Nacht, von der „Minute, die jetzt ist“ bis zur kaum fassbaren Ewigkeit. „Die Ewigkeit ist sehr lang, besonders am Ende“, hat Woody Allen gesagt. Der Widerspruch zwischen gemessener (Uhr-)Zeit und gefühlter, vergehender Zeit kann erlebt werden, wenn wir schätzen, wie lange ein Musikstück oder -ausschnitt gedauert hat.

Die Ausgabe 4/1999 von MUSIK in der Grundschule, Kinder, wie die Zeit vergeht, bietet eine weitere Fülle von Anregungen, sich mit dem Phänomen Zeit zu beschäftigen. Ein Beispiel von vielen möglichen Themen, für die in der show-armen Zeit Material gesammelt werden kann.
Wenn es eine immer gewünschte Klassenaktivität gibt wie z. B. Taka-tuka-Land (vgl. MUSIK in der Grundschule 3/2016) haben wir eine ideale Plattform für viele kleine Soloshows. Der immer gleiche Ablauf und die immer verschiedenen Aktivitäten sind Testfelder für alle Beteiligten. Gleichzeitig finden sie in Realzeit statt und können für später geplante Aufführungen konserviert werden, indem wir mal einen Durchgang mit Ton oder Bild aufzeichnen. Im besten Sinne work in progress, wie es wiederkehrende Showformate brauchen.