Musik in der Grundschule – Ausgabe 2/21 Leseprobe 1

Gedanken und Aktionen zum luftigen Raum

Meinhard Ansohn

Draußen sein, auf englisch „open air“ ist für Musikunterricht eher selten. Da fehlen Instrumente und der Strom für Medien, Tische zum Schreiben usw. Dabei gab es schon Gesang und Tanz, als es noch keine Häuser gab und Menschen noch in Höhlen lebten. Heute haben wir geschützte Musikräume, aber sind in Pandemie-Zeiten genau dort ungeschützt. In diesem Spannungsfeld müssen musikunterrichtliche Aktivitäten teilweise neu bedacht werden.

„Kinder kommt, wir gehen raus.“ Ein schwungvoller Anfang für eine Musikstunde im Frühling nach einer langen Zeit, die von Online-Unterricht im Home-Schooling, Klassenaufteilungen und Winterkälte geprägt war und die, wenn überhaupt, Musikunterricht konsequent ohne das ansteckungsgefährliche Singen zuließ. Wir hätten schon Lust! Aber wir wollen auch gesund bleiben. Wenn wir noch in Corona-Zeiten sind, achten wir auf Abstände beim Hinausgehen. Gut wäre auch, schon vor dem Hinausgehen einen Platz zu verabreden, wo und wie wir uns dann aufstellen: im Kreis um einen großen Baum, weitläufig um den Spielplatz herum oder im Viereck hinten am Zaun? Wollen wir uns alle gleich sehen oder planen wir ein Musikspiel rund um die Turnhalle, ohne dass sich alle sehen? Die Gegebenheiten sollten wir uns im Vorhinein vorstellen können. Nehmen wir etwas mit? Die Gitarre, um zu singen, was wir mögen und können? Eine Bluetoothbox oder Musikanlage mit Batterie, um zu tanzen, was wir mögen und können? Oder einfach erst mal nur uns selbst für Spiele und Rhythmen draußen?

Spiele und Rhythmen auf dem Schulhof

Schön, wenn wir uns dann an die Lieder und Rhythmusspiele erinnern, die wir mal gelernt haben. Hier ein kleines Protokoll unserer Aktion, die vor allem der Wiederbegegnung nach langer Online-Unterrichtszeit dient. Die Inhalte sind austauschbar. Anwärmlied, Tanzlied, Rhythmusspiel, Frühlingskanon waren die Zutaten für eine vierte Klasse.
Wir singen erst unser Lied Adler will fliegen mit Call und Response (MUSIK in der Grundschule 1/2001). Jedes andere vertraute Lied tut es auch. Zur Auflockerung singen und tanzen wir unser altes Jimba Jimba (MUSIK in der Grundschule 3/2016). Nun die Frage: Gab es da nicht mal den „Rhythmus des Monats“? Ja, den hatten wir in zwei Varianten aufgeschrieben. Wir stehen in einem großen Kreis und sprechen und klatschen nochmal zusammen: Erst Nummer 1: „Wenn es regnet im Mai, ist der April vorbei.“ Und dann Nummer 2: „Wenn es regnet im Mai, ist April vorbei“.
Beide Rhythmen sowohl gesprochen als auch geklatscht. Dann machen wir das direkt nacheinander. Start auf der 4 „Wenn es…“ Anschließend ziehen wir mit Ästen eine Innenkreislinie im Abstand von 1,5 Metern. Hinter diese stellt sich jedes zweite Kind und schaut nach außen. So sind wir auf jedem Kreis – innen und außen – je 13 Kinder. Wenn sich nun alle Kinder nach rechts wenden, schauen wir in zwei verschiedene Richtungen. Der Außenkreis startet mit dem Vers und der Innenkreis beginnt auf der nächsten 4 „der A- (pril)“. Wenn das klappt, setzen sich beide Kreise in Bewegung und gehen einmal herum, bis alle wieder am Ausgangspunkt stehen. Wenn es noch nicht klappt, starten wir lieber mit dem Vers 2. Warum das leichter ist, können wir dann gemeinsam klären, wenn wir wieder drin sind.
Zum Abschluss der Stunde singen wir noch den Frühlingskanon I like the Flowers. Dazu stellen wir uns in einem Quadrat auf, sechs bis sieben Kinder an jeder Seite. An den Ecken lassen wir etwas Platz, damit der Abstand stimmt. Wenn der Kanon läuft, werden wir mit Absicht immer noch ein bisschen schneller, bis das Ganze in einem furiosen „dum-di-dadi“ zusammenbricht. Lachen, zur Ruhe kommen und wieder rein ins Schulhaus.

Zwischenrufe: Musik im Freien? Au ja! Oh nee!

Man glaubt es kaum, aber wir hatten schon ein Schulhofsingen, nach dem die Nachbarn unsere Schule wegen Ruhestörung anzeigen wollten. Es war zwölf Uhr mittags. Vor vielen Jahren gab es eine Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr, aber diese Zeiten sind vorbei. Tatsächlich hat auch die Nachbarschule, die im Frühling zum Musikmachen in den Park gegangen ist, Ärger bekommen. Mit Umweltschützerinnen und Umweltschützern. Sie hätten brütende Vögel gestört!
Wir machen uns mal eine Liste: „Sortiert einige Plus- und Minuspunkte für Musik im Freien und schreibt sie in zwei Spalten. Sicher findet ihr noch mehr gute und schlechte Seiten für Musik draußen.“ Hier ein paar Beispiele:
Macht Spaß bei schönem Wetter
Man stört Leute
Ist schwierig in der Nähe einer lauten Straße
Viel Vorbereitung
Ist lustig auf dem Spielplatz
Nicht gut für Vögel in ihrem Nest
Manche Instrumente hat man nicht dabei
Rhythmusspiele mit Hölzern und Steinen
Tanzen im Wald ist toll, weil …
Tanzen im Wald ist nicht toll, weil …
Plätze finden, wo man richtig laut sein kann.
Übrigens: Nachbarn von Schulhöfen freuen sich manchmal, wenn eine kleine Gruppe hingeht und ihnen sagt, wann Gruppen warum auch mal draußen Musik machen möchten. Oder wenn sie zu einem Schulhofkonzert eingeladen werden. Sie müssen ja nicht kommen.

Ein leises Lied am Teich

„Kinder kommt, so ein schöner Frühlingstag. Wir gehen zum Singen in den Schulgarten (… an den Dorfteich; … in den Stadtpark.)“ Das leise Singen – in Coronazeiten mit Abstand – verbietet einem draußen niemand. Und ein leises Lied, ein bisschen märchenhaft, voller Fernweh und voller Mitleid mit denen, die anscheinend alle die Falschen mögen, entstand aus dem Gedicht Der Garten des Herrn Ming.
Den Text lesen wir zunächst, dann summen wir die Töne ganz leise mit der Aufnahme mit. Dann treffen sich Text und Melodie und wir lernen möglichst viel auswendig. Dann müssen wir kein Heft mitnehmen, wenn wir am Teich singen und können mit schönen kleinen Bewegungen der Hände den schwimmenden Goldfisch darstellen.
Unsere Melodie lässt sich auch draußen mit kleinen klingenden Stäben begleiten. Wir brauchen als tiefsten Ton ein d‘, dazu f‘, g‘, a‘, c“ und d“. Die dürfen ruhig durcheinander spielen, Hauptsache leise und sehr ruhig.

 

Musikinstrumente und Musizieren im Freien

Das Thema „Musik im Freien“ ist auch eins, worüber man im Klassenraum oder im Online-Unterricht nachdenken kann. Es gibt z. B. Instrumente, die nur entstanden sind, damit sie im Freien zu hören sind – laute Instrumente aus einer Zeit, in der der Ghetto-Blaster noch nicht erfunden war.
Drei Beispiele dafür: Die Namen der Instrumente verrate ich und wozu sie genutzt wurden (und teilweise noch werden) auch. Den Kindern sage ich: „Bitte ordnet die Hörbeispiele den Informationen und Bildern zu. Schreibt einen kurzen Ruftext, d. h. was die Instrumente rufen, wenn sie sprechen könnten.
Wir vergleichen später die Texte und wählen besonders gelungene aus, um sie dann selbst zu rufen, während wir die Instrumente noch einmal hören.“

Hörbeispiel 1: In der Türkei und ihren Nachbarstaaten kennt man Davul und Zurna als ein lautes Instrumentenpärchen. Es gab sie wahrscheinlich schon vor dem 14. Jahrhundert. Die Zurna ist ein Rohrblattinstrument wie auch die Oboe. Bei der Davul handelt es sich um eine tiefe Trommel, die mit einem dicken und einem dünnen Stock gespielt wird. In den Bergdörfern hört man sie immer noch oft, z. B. wenn die Leute erfahren sollen, dass hier eine Hochzeit stattfindet.


Hörbeispiel 2: Die Pauken und Trompeten sind um 1700 „edle Instrumente“, die den Fürstenhöfen vorbehalten waren. Schon viel älter sind einfache Fanfaren und Trommeln, die der königliche Bote benutzte, um anzukündigen, dass gleich eine wichtige Nachricht oder eine bedeutende Person kommen wird.

 


Hörbeispiel 3: In den Hochgebirgen der Welt, wo Botschaften von Berg zu Berg ohne Telefon gesendet werden mussten, gab es schon im 14. Jahrhundert lange Hörner mit durchdringendem Ton. Alphörner heißen sie in Europa und die Kuhhirten in den Bergen der Schweiz spielen sie auch heute noch.

 

Geräusche aus der Natur: Orchester und Vogelstimmen

„Kinder ich habe heute eine besondere Musik im Radio gehört. Etwas darin hat mich überrascht und jetzt würde ich euch gern mal davon zwei Minuten vorspielen. Malt oder schreibt auf, was ihr hört. Erst danach sprechen wir.“
Wir hören den ersten Satz vom Cantus Arcticus von Einojuhani Rautavaara. Zuerst kommen Wellenlinien, gespielt von einer, dann zwei Flöten, es kommen Klarinetten dazu und dann Oboen und dann … Vogelstimmen, erst eine, dann mehrere, dann auch Blechblasinstrumente, die mehrmals einen Kuckucksruf (plus leises Echo durch Oboen) imitieren.
Entweder wir hören den Ausschnitt gleich ein zweites Mal oder es gibt schon Spontanäußerungen dazu. Da sind „Wellen“ wie im Meer oder Fluss. Da sind Blasinstrumente. Und da sind tatsächlich richtige Vogelstimmen. Sie kommen über Tonbandaufnahmen in die Musik hinein. Wir sammeln die Stichworte dazu auf Papierstreifen für die Tafel oder auf einem Whiteboard, sodass man sie später noch mal verschieben und in eine passende Reihenfolge bringen kann.
Aus den Wellenformen, den Instrumentennamen, charakterisierenden Adjektiven und der Anzahl der zunehmend vielen Vogelstimmen entwickeln wir eine Art Klangpartitur für die zwei Minuten. Die speichern wir oder fotografieren sie ab, damit alle sie haben.
Für das eigene Musizieren wäre es gut, wenn alle, die ein Handy mit Aufnahmefunktion und Lust auf Klangsuche haben, zur nächsten Stunde draußen eine Vogelstimme aufgenommen hätten. Im Frühling finden wir genug davon, auch in der Stadt. Oft sind es gleich mehrere auf einmal. Mit diesen Aufnahmen treffen wir uns zur nächsten Stunde im Musikraum und spielen uns die Aufnahmen vor. Wir wählen uns die schönsten aus (abstimmen!) und halten sie startbereit zum Abspielen.
Dann nehmen wir uns Instrumente und improvisieren, weich, leise, z. B. auf Metallofonen (wischend oder leicht anschlagen). Lotusflöten sind geeignet und leise Zymbeln. Wenn jemand ein Instrument spielen kann ist das auch willkommen, z. B. eine Violine mit Glissando-Tönen. Fantasie erlaubt hier alles.
Danach probieren wir verschiedene Vogelstimmenaufnahmen abzuspielen, teils hintereinander, teils gleichzeitig. Was gefällt uns? Was ist zu viel? Was ist zu kurz und müsste eventuell über ein Computerprogramm (wie das kostenlose Audacity) vervielfältigt werden? Sind die Handyaufnahmen über den Handy-Speaker laut genug oder wollen wir sie über unsere Anlage im Musikraum abspielen?
Zum Schluss legen wir fest, wie wir live spielen und an welchen Stellen die Vögel dazukommen sollen. Ziel ist ein Musikstück für Instrumente und unsere Vogelstimmen zu bekommen, das wir vorspielen oder aufnehmen können. Musik von drinnen und draußen.