Musik in der Grundschule – Ausgabe 1/23 Leseprobe

Gute-Laune-Musik als Gegenstand für den Grundschulmusikunterricht?

Ein Wort zur Situation der gute Laune am Jahresende 2022

Meinhard Ansohn

Unsere Zeit scheint wenig Platz für gute Laune zu lassen. In den ersten beiden Pandemiejahren wurde für alle spürbar, dass schulische Gemeinschaft, entspanntes Singen, Musikhören und -machen nicht mehr selbstverständlich ist. Nachrichten von Kriegen und der sich verschärfenden Klimakrise bedrängen uns. Wo sind jetzt Raum und Zeit zum Durchatmen?

Die Räume, die monatelang für viele Kin- der häusliches Alleinsein bedeuteten, wurden vielfach durch „soziale Medien“ „belebt“. Die Zeit der weltweiten Suche nach musikalisch geförderter guter Laune führte zu Tik Tok & Co, den neuen Begleitern der Handy-, Tablet- und Computernutzenden ab ca. vier Jahren. Das war schon vor 2020 ein Trend, aber seit März 2020 hat Schule die Kinder nicht mehr wirklich in Präsenz begleitet. Sie war nicht sichtbar oder musste sich digital bemerkbar machen.
Dort, wo digitaler Unterricht tatsächlich auch im Fach Musik angeboten wurde, musste Motivation durch „Hauptsache Spaß“ verkörpert werden. Die „alten“ Zugänge zu Musik – singen, spielen, tanzen, hören, forschen, erfinden – scheinen unter unendlich vielen TikTok-Clips, Instagram-Performances, Bodypercussion-Workouts auf Youtube vergraben zu sein und werden, wenn überhaupt, nur langsam wieder eine betrachtende, reflektierende Balance zur Welt-Pop-Sauce des Internets schaffen können. Es ist schulmusikalisch überlebenswichtig für das Fach, dass jetzt alle diejenigen, die kluge Ideen gegen die totale Einvernahme der Kinder durch die Datenkraken im Internet schon neu gedacht haben, sich an die Fortbildungsinstitutionen, die Fachverbände, die musikpädagogischen Verlage usw. wenden und ihre Formen eines behutsamen Umganges mit dem Moloch „Virale Trends“ vorstellen, bevor die Politik aus anderen Gründen dem dringend notwendigen vielfarbigen Musikunterricht seine Nischen weiter verkleinert.

Gute-Laune-Musik, was ist das?

Erst mal ist es gut zu wissen, was überhaupt Laune ist: eine Stimmung, die sich täglich anders über unser Grundgefühl im Leben legen kann. Das Wort „Laune“ kommt, so mein Wortherkunftslexikon, von Luna, dem Mond und bezeichnete ab dem späten Mittelalter die sich wandelnden Stimmungen der Menschen, die man als vom Mond abhängig ansah. Wer launisch ist, ist auch heute noch eher wechselhaft gestimmt und manche andauernd gut gelaunt strahlenden Gesichter, z. B. in der Werbung, können maskenhaft tatsächliche Gemütszustände verdecken. Was tut da Musik dazu?
Soll Gute-Laune-Musik eine Musik sein, die gute Laune garantiert, also wie ein Medikament oder eine Droge wirksam sein, verändernd, verstärkend? Oder wurde sie mit guter Laune hergestellt, der lachende Vagabund als Musikant? Oder enthält sie musikalische Anteile von dem, was weithin als gute Laune angesehen wird, fröhlich stimmende, luftige, entspannende oder mitreißende Elemente? Können wir dazu schon in der Grundschule etwas lernen, etwas erforschen, etwas erleben und reflektieren, das uns zu musikalisch Wissenden macht?

Gut gelaunt in die Musikstunde starten

Das Erste in einer Musikstunde ist ein Stundenanfang, der vertraut ist und die Kinder mitnimmt. In der MUSIK in der Grundschule haben wir viele Stundenanfänge abgebildet, Rituale, Guten-Morgen-Lieder und mehr z. B. in den Ausgaben 2/2012 und 1/2017. Grundsätzlich sollte die Unterrichtsatmosphäre „guter Laune“ dienlich sein ohne aufdringlich lustig werden zu wollen. „Hallo, guten Morgen, welch ein Glück. Hallo, guten Morgen, jetzt ist Musik“. Wir übernehmen Verantwortung für Möglichkeiten. Wir garantieren nicht jedem seine Lieblingsstunde.

Früh am Morgen

„Hallo gute Laune, wo bist du? Bist du da? Bist du hier? Komm doch einfach (mal) zu mir!“ Das ist ein kleiner Spruch, den wir sprechen, singen, klatschen, variieren können. So etwas, wenn wir wissen, wie es geht, tut immer gut.
Es gibt so viele Begrüßungsspiele und -lieder für den guten Morgenanfang. Und es ist gut, manche für ein paar Wochen oder länger zu wiederholen, weil wir Rituale brauchen. In den gerade genannten Ausgaben von MUSIK in der Grundschule stehen konkrete Beispiele. „Hallo, guten Morgen, welch ein Glück: Hallo guten Morgen, jetzt ist Musik!“

Kurzes Intermezzo: Jemand kommt zu spät

Gibt es bereits zum Anfang eine Störung durch Zuspätkommende, dann kann es durchaus besser sein, im Flow der Stunde zu bleiben, statt zu ermahnen und Erziehungsversuche einzubauen. Wir sind schon bei der Begrüßung, schon beim Anfangsritual oder schon beim Stundenthema. Du hast etwas verpasst, ja, aber du bist willkommen. Klärungen können später erfolgen. Hier geht es darum, dass die äußere Form einer Musikstunde dem Thema „Gute-Laune-Musik“ ein adäquates Ambiente verschafft. Aktuell waren und sind wir dabei über Musik zu sprechen und zu erkunden inwiefern sie gute Laune machen kann.

Voraussetzung zum Sprechen über Musik: Fünf Hörwinkel

Der Musikpädagoge Hans Jünger hat für das Sprechen über Musik fünf Hörwinkel (analog zu Blickwinkel im visuellen Raum) herausgearbeitet: Die Struktur, die Semantik (also Bedeutungsschichten), die Emotion (fühlbare Wirkungen), die Funktion (hier vorrangig der Gebrauch für etwas) und die Ästhetik (Urteile über, Bewertung von Musik).
Alle diese Hörwinkel können auch schon in der Grundschule eingenommen und sprachlich entwickelt werden. Bei dem Phänomen, dass Musik gute Laune machen kann bzw. auch für die Schaffung von möglichst guter Laune hergestellt wurde, stehen die Hörwinkel der Emotion und der Funktion im Vordergrund. Es ist vorteilhaft, wenn es in der Klasse bereits Erfahrungen mit Wortsammlungen und Beispielsätzen gibt. Auch dazu ist einiges in früheren MUSIK in der Grundschule-Ausgaben zu finden, z. B. die große Sammlung der Gegensatzpaare für Beschreibungen in der Ausgabe 3/2008.

Was ist überhaupt Gute-Laune-Musik? Hörproben

Irgendwann nach der Ablösung der Musik von religiösen und anderen gemeinschaftlichen Riten wurde Musik unter anderem zur Unterstützung von Stimmungen gespielt und seit Beginn der Aufnahmetechnik auch aufgezeichnet. Spätestens dann wechselt teilweise der Gute-Laune-Aspekt der „Wirkung“ (es macht etwas mit mir) zur „Funktion“ (ich mache mit der Musik etwas für mich).
Die Hörschnipsel 1–9 sollen hier als Beispiele für Musik mit positiven Stimmungen stehen. Mit unseren Adjektiven können wir versuchen zu beschreiben, was es genau ist, das gut gelaunt wirkt oder wirken möchte. Sind es entspannte, wilde, lustige Musizierweisen? Sind es hüpfende, trällernde, vorwärtstreibende Klänge? Erinnert ein Stück uns an etwas, das wir mit guter Laune verbinden?
Wir malen für das Maß an guter Laune, das wir der Musik zusprechen, Emojis in eine Tabelle und vergleichen dann. Gibt es für alle gleiche Zurordnungen? Sind manche völlig unterschiedlich?

Was ist Gute-Laune-Musik für dich? Wirkung und Funktion

Das Ziel der Beschäftigung mit diesem Thema ist, am Ende mehr Kompetenz zu haben, Musik in ihrer Wirkung einzuschätzen und persönliche Vorlieben zu verstehen.
In der MUSIK in der Grundschule 4/2019 wurde das Projekt Musik am Morgen, am Tag und am Abend vorgestellt. Am stärksten kam dort „gute Laune“ als Ziel des Musikhörens für die Nachmittagszeit heraus, wo sich die Kinder ihre Musik selbst und ohne direkten Einfluss von anderen Menschen auswählen. Musik zum Abhängen, Chillen, Entspannen (1) war dabei, Musik zur Ablenkung, gegen die Stille (2), Musik zur Aufmunterung, zum Tanzen in Zimmer oder Bad, zum Mitsingen (3), zum Ausrasten, Toben, Wut Ablassen (4). Hier wird besonders die Funktion von Musik durch die selbst gewählte Nutzung deutlich.
Sprachlich können wir zu einer solchen Musiksammlung arbeiten, indem z. B. jedes Kind einen Satz aufschreibt, der immer gleich beginnt:
Musik macht mir gute Laune … Dann vergleichen wir, welche Ergänzungen aufgeschrieben wurden.
Wer hat Musikarten aufgeschrieben? (… wenn sie rockig ist …)
Wer hat bestimmte Interpreten genannt? (… wenn sie von Justin Bieber ist …)
Wer hat Eigenschaften der Musik aufgeschrieben? (… die leise, laut, schnell usw. ist …)
Wer hat Tätigkeiten aufgeschrieben? (… die mich zum Tanzen bringt, die mich entspannt, die mich zum Nachdenken bringt …)
Wer hat andere Funktionen genannt? (… wenn sie meinen Bruder ärgert …)
Wer hat Tageszeiten, Orte oder Bedingungen aufgeschrieben? (… aber nur abends, aber nur in meinem Zimmer, aber nur, wenn niemand zu Hause ist …)
Wir können die Kärtchen an eine Wandtafel heften und schauen, ob sie kombinierbar sind. Kann z. B. eine Musik von Justin Bieber zum Tanzen bringen, schnell sein und gleichzeitig meinen Bruder ärgern?
Oder wir malen neben einzelne Kärtchen kleine Punkte – blaue, wenn wir zustimmen und rote, wenn wir das ganz anders sehen. Eine kleine Klassenumfrage also, die uns zeigt, wie verschieden wir sind, aber auch, wie verschieden dieselbe Musik für manche von uns sein kann. Bleibt unsere Sammlung eine kleine Weile an der Wand, können wir später Musikstücke mitbringen und schauen, welche dieses oder jenes Kriterium erfüllen, quasi als Vertiefung unserer spontanen Aussagen. Ein kleiner Forscheransatz zum Musikexpertentum.

Arbeit mit Playlists

Gute-Laune-CDs gibt es von verschiedenen Genres, für Klassik, Jazz, HipHop usw. Sie werden zusammengestellt für einen Markt, der die Funktion, gute Laune durch Musik zu erzeugen, zu Geld machen will. Wenn wir Songs, die kinder- oder jugendnah das Thema berühren, hörend vergleichen wollen, gibt es keine eindeutige Zusammenstellung.
Im Unterricht dürfen wir zu Lernzwecken Musik aus eigenem Besitz abspielen. Und es ist aus Urheberrechtsgründen ratsam, Songs, die wir analysieren wollen, zu kaufen. In der Praxis werden aber Spotify und YouTube immer mehr eingesetzt werden, auch wenn diese oft zum Nachteil der Urheber agieren. Sie haben den Vorteil, dass die Kinder auch Vorschläge machen können, die im Klassenraum sofort umgesetzt werden. Trotzdem der klare Hinweis: Was uns wichtig ist, kaufen wir einmal und unterrichten damit. Das ist rechtlich sicher und für Musikerzeuger fair. Aus den Playlists können dann Gruppen etwas auswählen, hören, vergleichen, präsentieren, um ein Thema rundum zu bearbeiten.

Die positiven Songs (Affirmationen)

Wir stellen uns eine Playlist zusammen. Die 4. bis 6. Klasse kann „Songpaten“ finden, die als kleine Gruppe ein Lied vorstellen. Wie hat der Sänger aus dem deutschen Popgeschehen für schwere Zeiten gedacht, gefühlt, gesungen? Was sind die entscheidenden Dinge, damit man den Kopf oben behält? Gibt es Handlungsempfehlungen? Eine Vorschlagsliste hier:
Wincent Weiss und Johannes Oerding: Die guten Zeiten (2021)
Johannes Oerding: An guten Tagen (2019)
Mark Forster: Sowieso (2016)
Udo Lindenberg: Durch die schweren Zeiten (2016)
Bosse: Schönste Zeit (2013)
Wise Guys: Sorge dich nicht (2010)
Jan Delay: Hoffnung (2009)

Die herausfordernden Songs (Gegenströmungen)

Wir stellen uns eine Playlist zusammen. Die Frage dazu ist: Welche Songs machen mir gute Laune, weil sie mit ihrer schlechten Laune meine verbessern? Wir kennen uns mit den kleinen schlechten Launen aus und gehen eine heimliche Verschwörung mit den Schlechtgelaunten ein. Das fühlt sich gut an und macht Laune. Der Anfang einer Vorschlagsliste hier:
Das mürrische Guten Morgen von Ton, Steine Scherben
Das nölige Wer hat hier gute Laune von Max Raabe
Das mufflige Ich bleib im Bett von Nena
Das depressive Ich geh heut nicht mehr tanzen von AnnenMayKantereit

Die gewollten Stimmungsmacher (Jeder ist verschieden)

Wir stellen uns eine Playlist zusammen. Es gibt Lieder, die gehen den einen auf die Nerven, während die anderen sie feiern. Und es gibt Lieder, die uns fröhlich machen sollen, aber bei manchen ihre völlig anders geartete Laune nicht positiv berühren. Kleiner Ansatz einer Vorschlagsliste hier:
Ein Beispiel aus der Ballermann-Szene (Ingo ohne Flamingo: Wir sind immer dabei)
Ein Beispiel aus dem Frühstücksradio (Nana Mouskouri: Guten Morgen, Sonnenschein)
Ein Beispiel aus dem Witzigkeits-TV (Hape Kerkeling & Heinz Schenk: Witzischkeit kennt keine Grenzen)
Ein Beispiel aus der Oldie-Unterhaltungsmusik (Bert Kaempfert: Swingin‘ Safari)
Ein Beispiel aus der Computerspielszene (Game Boys Tetris/ Korobeiniki)
Bei allen Playlists gibt es Möglichkeiten, unbekannter Musik zu begegnen und eigene Fragen dazu zu entwickeln. Wer könnte diese Musik mögen, die ja immerhin erfolgreich ist oder war? In welchen Zusammenhängen wird sie gespielt? In welchen Medien kommen diese Stücke vor?

Ein Gute-Laune-Lied zum Wünschen

Die Wunschfee ist ein Lied, in dem Wünsche geäußert werden können. In der MUSIK in der Grundschule 3/2014 war die Wunschfee schon einmal aufgetaucht. Inzwischen haben wir der Fee ab und zu neue Wünsche mitgeteilt. Sie sind eine Mischung aus den kleinen Fantasien und großen Hoffnungen. Zu dem Playback kann gern jede Klasse ihre eigene Version dichten. Hier gibt es die aktuelle Version von 2022.

Un poquito cantas

Hier ein kleiner singbarer „Kurzschluss“ zur guten Laune: Latinorhythmus und spanische Wörter = gute Laune?
Nicht zwingend, zumal die südamerikanische Herkunft nicht restlos geklärt ist. Aber eine Erfahrung aus vielen Jahren Grundschule war: Das Lied mit den wenigen Wörtern und dem synkopierten Rhythmus macht vielen Kindern ab Klasse 1 Spaß und ist auch mit der 6. Klasse noch zu singen. So eignet es sich für ein Hofsingrepertoire mit der ganzen Schule im Frühjahr und Herbst. Verlockend ist auch, dass selbst diejenigen, die mal in einem Jahr das Lied nicht mehr mögen (Ooch, nicht schon wieder!), es nach einiger Zeit wieder neu erleben und singen können.
Das Lied ist wie die Wunschfee frei für Neutextierungen und braucht dafür nur zwei Wörter pro Strophe. Eine überschaubare Kreativleistung in der Vorbereitung. Es muss nur noch über die Fassung des Jahres abgestimmt werden.

Gute Laune immer, geht das?

Die Sache mit der Laune, der wechselhaften, ist wie bei vielen Gefühlen nie so ganz eindeutig und sie muss wechseln, sonst erstarren wir. Es ist eine Sache von Yin und Yang: Die gute Laune ist auch in der schlechten enthalten und umgekehrt. Vollmond und Neumond, immer ist der ganze Mond da. Man sieht nur mal mehr und mal weniger.
Und so gesehen ist alles, was wir im Musikunterricht tun, Gute-Laune-Musik, wenn wir selbst uns die gute Laune nicht verderben lassen. Sie kann ein Kraftstoff sein gegen die unguten Einflüsse dieser Welt in dieser Zeit, auch wenn sie trotz bestem Willen nicht jeden gleichermaßen erreicht.