Musik & Bildung – Ausgabe 2.17 Leseprobe

Games Unplugged

Video- und Computerspielmusik im Unterricht

Johannes Voit

 

Seit sich „Pac-Man“ auf der Flucht vor pixeligen Geistern durch grün umrandete Labyrinthe fressen musste, hat sich in der Welt der Videospiele viel getan: Aufwändig gestaltete virtuelle Welten ziehen heute die SpielerInnen in ihren Bann und zielen auf totale Immersion. Eine wichtige Funktion kommt dabei der Musik zu, die nicht nur die Spielführung erleichtert, sondern auch die Atmosphäre der Games maßgeblich bestimmt.

Parallel zur Grafik hat sich auch die Komplexität der Musik in Videospielen rasant entwickelt, so begegnen uns heute statt piepsendem 8-Bit-Sound teils komplexe Orchester-Arrangements, die hochprofessionell komponiert und produziert wurden. Inzwischen steht die Musik auch auf den Spielplänen renommierter Orchester wie des London Symphonic Orchestra, des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, des Tokyo Philharmonic Orchestra oder des Münchner Rundfunkorchesters. Während manche Ensembles sich auf die konzertante Wiedergabe der Musik beschränken, versuchen andere, die immersive Kraft von Videospielen in einem Live-Spektakel mit Artistik und Lasershow erlebbar zu machen.
Die Funktionen der Videospielmusik sind denen der Filmmusik ähnlich, auch die wesentlichen kompositorischen Verfahren (Mood-Technik, Leitmotiv-Technik, Underscoring) sind vergleichbar. Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Ihrem adaptiven Charakter entsprechend muss Videospielmusik in Sekundenbruchteilen auf die Aktionen des Spielers reagieren und beispielsweise das Tempo oder die Stimmung anpassen. Heute ist es dank der Rechenleistung moderner Computer möglich, real eingespielte Orchesterklänge in Echtzeit nach den dramaturgischen Anforderungen des Spiels zusammenzusetzen.
Wie stark Computer-, Handy- und Konsolen- spiele im Alltag von Jugendlichen verankert sind, lässt sich in der JIM-Studie aus dem Jahr 2016 nachlesen: 64 Prozent aller befragten Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren geben an, täglich oder mehrmals pro Woche digitale Spiele zu spielen, bei den Jungen sind es sogar 83 Prozent. Es liegt daher aus zweierlei Gründen nahe, das Thema Videospielmusik im Musikunterricht zu behandeln. Zum einen handelt es sich um Musik, der viele SchülerInnen täglich ausgesetzt sind und die für sie bedeutsam und oft emotional besetzt ist. Zum anderen bietet das Thema die Möglichkeit, ein kritisches Bewusstsein für die eigene Mediennutzung und für die uns täglich umgebende medial vermittelte Musik zu schaffen.

THEMATISCHE HINFÜHRUNG

Die SchülerInnen erhalten die Aufgabe, die Musik eines Videospiels als Hörbeispiel in den Unterricht mitzubringen. Dies kann ein YouTube-Link sein oder eine Audioaufnahme, die die SchülerInnen selbst beim Spielen ihres Lieblings-Games mit dem Handy aufgezeichnet haben. Nacheinander spielen die SchülerInnen ihre Hörbeispiele vor, ohne zu verraten, um welches Spiel es sich handelt. Die anderen versuchen anhand der Musik Rückschlüsse auf das dazugehörige Spiel zu ziehen. Anschließend löst der jeweilige Schüler auf, um welches Spiel es sich handelt und beschreibt das Spiel und die Musik. Gemeinsam besprechen die SchülerInnen, welche Funktionen die Musik in dem Spiel erfüllt (Wiedererkennungswert, Atmosphäre schaffen, Spielverlauf steuern, visuelle Ebene unterstützen etc.). Welche akustischen Signale markieren wichtige Ereignisse im Spielverlauf (Punkte sammeln, Übergang zum nächsten Level, Game Over)? Wie beeinflusst die Musik das Verhalten und die Emotionen des Spielers? Würde das Spiel auch ohne bzw. mit anderer Musik funktionieren? Bleiben die SchülerInnen bei ihrem eingangs gegebenen Urteil (Sterne-Bewertung, Aufgabe 8) oder möchten sie diese nach den Erläuterungen ihres Mitschülers revidieren?

WARM-UP: SWISCH, BOING, POW!

Die SchülerInnen stehen im Kreis und geben einen Impuls im Uhrzeigersinn weiter: Derjenige, der an der Reihe ist, ruft „Swisch!“ und dreht gleichzeitig seinen Oberkörper so schnell, dass sein rechter Arm wie ein Pfeil nach links geschleudert wird. Wenn dies funktioniert, können die SchülerInnen selbst entscheiden, ob sie den ankommenden Impuls weiterleiten oder abstoppen. Zum Abstoppen drehen sie sich zu dem Nachbarn, der den Impuls weitergeleitet hat, rufen „Boing!“ und springen gleichzeitig mit hoch erhobenen Armen in die Luft. Der Impuls prallt dann ab und muss in die andere Richtung weitergegeben werden. Achtung: Bei einem Richtungswechsel kommt der andere Arm zum Einsatz: Der „Swisch!“-Impuls geht immer in die Richtung, in die der Arm geschleudert wird. Als dritte Stufe kommt die Möglichkeit dazu, den Impuls über den Kreis zu schicken. Dies geschieht mit einem lauten „Pow!“. Gleichzeit zeigt der Schüler mit seinem ausgestreckten Arm auf denjenigen, dem er den Impuls senden möchte. Der Empfänger kann nun wählen, ob er den Impuls nach links oder rechts weitergibt. Den Impuls direkt hintereinander mehrmals über den Kreis zu schicken, führt oft zu Unklarheiten und sollte daher ausgeschlossen werden. Dieses Spiel lebt vom Tempo und von der Energie. Die SchülerInnen sollten die Silben laut rufen und die Gesten mit hoher Körperspannung ausführen, so als müssten sie den Impuls mit ihrem eigenen Körper physisch abfangen, beschleunigen etc.

Die folgenden Spiele stellen analoge Simulationen von Videospielen dar. Die Simulation realer Geschehen wie Autorennen und Fußballspiele ist ein übliches Verfahren von Videospielen. Hier wird der umgekehrte Weg beschritten: Die Prinzipien von Videospielen werden live simuliert. Auf diese Weise können Spielverläufe ohne großen technischen Aufwand nachgestellt und vertont werden.

 

JUMP ‘N’ RUN

Dieses Spiel ist inspiriert von klassischen Jump-’n’-Run-Spielen wie Super Mario und ist besonders als Warm-up gut geeignet. Die SchülerInnen gehen kreuz und quer durch den Raum. Bei der Anweisung „Stop!“ bleiben alle stehen, bei der Anweisung „Run!“ gehen alle weiter.
Nun kommen zwei weitere Anweisungen dazu: Bei „Jump!“ springen alle in die Luft, bei „Hide!“ kauern sie sich auf den Boden und halten die Hände schützend über ihren Kopf.
Wenn dies funktioniert, wird es spannend. Die Bedeutung der Anweisungen wird folgendermaßen geändert: „Stop!“ bedeutet nun weitergehen, „Run!“ bedeutet stehen bleiben, „Jump!“ bedeutet verstecken und „Hide!“ bedeutet springen. Fallen den SchülerInnen weitere Aktionen ein, die man in das Spiel einbauen könnte?

 

LABYRINTH

• Benötigtes Material: 30 Teppichfliesen (ca. 30 x 30 cm). Die Teppichfliesen werden mit etwas Abstand regelmäßig in einem Rechteck auf dem Boden verteilt (6 x 5). Dieses Rechteck markiert das Spielfeld.
• Die Grundidee ist einfach: Ein Spieler bewegt sich von einer Fliese zur nächsten, wobei er sich nur vorwärts und seitwärts bewegen kann (nicht rückwärts oder diagonal). Nur ein Weg führt zum Ziel.
• Vorbereitung: Die Klasse teilt sich in zwei Gruppen. Jede Gruppe überlegt sich einen Weg durch das Labyrinth und markiert diesen auf einem Plan (s. AB 2 auf der Heft-CD). Festgelegt sind nur die Start- und Zielseite. Jede Gruppe komponiert auch die passende Musik zu ihrem Spiel: Sie überlegt akustische Signale, die dem Spieler anzeigen, ob er richtig oder falsch gegangen ist, sowie ein Signal für das Erreichen des Ziels. Darüber hinaus erfindet sie auch eine Hintergrundmusik, die eine passende Atmosphäre schafft. Bleibt die Musik konstant oder verändert sie sich, wenn der Spieler dem Ziel näher kommt?
• Spielverlauf: Nun startet der erste Spieler der Gruppe A durch das Labyrinth. Die andere Gruppe spielt die Hintergrundmusik und gibt dem Spieler akustisch Rückmeldung, ob er richtig oder falsch gegangen ist. Sobald er einen Fehltritt macht, endet für ihn das Spiel. Nun ist ein Spieler der Gruppe B dran und versucht, durch das Labyrinth zu kommen, während die Gruppe A musiziert. Anschließend ist wieder ein Spieler der Gruppe A an der Reihe usw. Kommt ein Spieler ans Ziel, hat seine Gruppe gewonnen.

 

PLANTS VS ZOMBIES

• Benötigtes Material: 6-8 Stoffbeutel, 60-80 Softbälle, 12-16 Augenbinden bzw. Tücher
• Dieses Spiel ist eine analoge Simulation des beliebten gleichnamigen Tower-Defense-Spiels. Die Klasse teilt sich in zwei Gruppen: die Pflanzen und die Zombies. Die Pflanzengruppe findet sich in Paaren zusammen. Jedes Paar besteht aus einer Battle Plant und einer Supporting Plant. Im späteren Spielverlauf steuern die Supporting Plants die Aktionen der Battle Plants mit akustischen Signalen (Stimm- und / oder Körper-Klänge). Diese werden zuvor in den Paaren erfunden. Benötigt werden Klänge für: Drehung links, Drehung rechts, Nachladen, Schießen. Die Paare sollten jeweils unterschiedliche Signale haben, damit sie später im Spiel leichter zugeordnet werden können.
Die Zombiegruppe erfindet eine atmosphärische Zombiemusik. Welche Instrumente sind geeignet? Wie kann die Musik auf das Spielgeschehen reagieren, um die Spannung zu steigern, wenn Pflanzen und Zombies sich näher kommen? Beispielsweise könnte die Musik schneller werden oder die Spannung wird durch einen hinzutretenden markanten Rhythmus oder einen immer lauter werdenden tiefen Ton (etwa auf dem Cello oder einem sehr großen Klangbaustein) gesteigert. Die Gruppe erfindet auch ein Start-Signal sowie ein Notfall-Signal, das die Zombies zum Stehen bringt.
Nun nehmen Pflanzen und Zombies an gegenüberliegenden Seiten eines großen, leer geräumten Klassenraums oder einer Turnhalle Aufstellung. Die Battle Plants stellen sich in einer Reihe auf. Jede Battle Plant hat einen Beutel mit Munition umhängen, die aus zehn Softbällen besteht. Direkt hinter jeder Battle Plant steht eine Supporting Plant, die die ihr zugeordnete Battle Plant steuert. Auf der anderen Seite des Raums steht die Hälfte der Zombiegruppe als Marching Zombies ebenfalls in einer Reihe. Daneben sitzt die andere Hälfte mit Instrumenten und sorgt als Zombie Musicians für die musikalische Untermalung. Ehe es losgeht, werden den Battle Plants und den Marching Zombies die Augen verbunden.

• Spielverlauf: Die Marching Zombies bewegen sich langsam, mit verbundenen Augen und ausgestreckten Armen auf die Pflanzengruppe zu. Ihr Ziel ist es, die Wand hinter den Pflanzen zu erreichen. Alle Pflanzen, die sie unterwegs berühren, werden gefressen und scheiden aus. Da die Marching Zombies nichts sehen können, müssen sie sich an den Klängen orientieren, die die Pflanzengruppe macht. Sollte ein Zombie dabei in Gefahr geraten, lassen die Zombie Musicians das Notfall-Signal ertönen. Das Spiel ist eingefroren, bis die Zombie Musicians die gefährdeten Marching Zombies neu ausgerichtet und die Gefahr beseitigt haben.
Die Battle Plants bleiben während des Spielverlaufs auf ihrem Platz stehen und können sich nur um die eigene Achse drehen. Sie müssen versuchen, die Zombies abzuwehren, um nicht gefressen zu werden. Sie werfen mit Softbällen auf die Zombies. Sobald ein Zombie dreimal getroffen wurde, scheidet dieser aus. Da die Battle Plants nichts sehen können, müssen sie sich nach den akustischen Signalen der Supporting Plants richten. Jede Supporting Plant signalisiert ihrer Battle Plant mit akustischen Zeichen, wenn sie sich nach links oder rechts drehen soll, wann sie nachladen (einen neuen Softball aus dem Beutel aufnehmen) oder schießen (werfen) soll. Ist der Beutel leer, sammelt die Supporting Plant zehn neue Bälle vom Boden auf, legt diese zurück in den Beutel und nimmt wieder ihre Position hinter der Battle Plant ein. Dabei darf sie den Zombies nicht zu nahe kommen, um nicht gefressen zu werden. Das Spiel endet, wenn alle Marching Zombies das gegenüberliegende Ende des Raums erreicht haben oder abgeschossen wurden. Die Anzahl der am Ende überlebenden Battle Plants bzw. Marching Zombies entscheidet darüber, welche Gruppe gewinnt.
Bevor Battle und Supporting Plants sowie Marching Zombies und Zombie Musicians ihre Rollen tauschen, wird der Spielverlauf reflektiert: Hat die Regel funktioniert oder sollte etwas verändert werden? Waren die akustischen Signale eindeutig erkennbar? Sind die SchülerInnen mit der atmosphärischen Wirkung der Zombiemusik zufrieden? Es sollte darauf geachtet werden, dass die SpielerInnen außer den vereinbarten akustischen Signalen möglichst keine weiteren Geräusche erzeugen.

 

WORLD OF SOUNDCRAFT

Die Klasse teilt sich in vier Gruppen (Völker), die im musikalischen Wettstreit gegeneinander antreten. Die Mitglieder füllen zunächst ihre Abenteurer-Pässe aus. Jeder Abenteurer kann sich einen Namen geben und sein Porträt malen. Die anderen Felder werden gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des jeweiligen Volks ausgefüllt. Als Gadget (engl.: Gerät, technische Spielerei, besonderer Gegenstand eines Superhelden) wird eine bestimmte Art von Klangerzeuger pro Gruppe gewählt. Dies können Instrumente sein, die im Musikraum verfügbar sind, oder auch klingende Alltagsgegenstände (Schlüssel, Münzen, Plastiktüten, Steine …). Anschließend erfinden die Völker mit ihren Gadgets eine Musik, die ihrem jeweiligen Charakter entspricht. Dabei soll es sich nicht um eine festgelegte Komposition handeln, sondern um eine adaptive musikalische Struktur, die beliebig lange musiziert und dem Spielverlauf angepasst werden kann: Wie verändert sich die Musik, wenn das Volk in den Angriff übergeht? Wie verändert sie sich, wenn es von anderen bedroht wird?
Beispiel: Ein Volk hat als Gadget den Stuhl gewählt. Seine Angriffsstrategie ist lautes Gebrüll, bei Bedrohung versucht es, die Technik des Angreifers zu imitieren und ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Da es sich um ein kriegerisches Volk handelt, wählen die Mitglieder als musikalische Struktur einen markanten Rhythmus im Mezzoforte, den sie auf der Sitzfläche trommeln. Wenn das Volk in den Angriff übergeht, wird der Rhythmus schneller und alle trommeln so laut sie können. Wenn das Volk angegriffen wird, versuchen alle, die musikalische Struktur des gegnerischen Volks so gut wie möglich zu übernehmen.
Nun stellen die vier Gruppen die Begegnungen der einzelnen Völker musikalisch dar. Hierzu einigen sie sich vorab auf ein Screenplay, z. B.: Nach und nach treten die Mitglieder von Volk 1 auf. Sind alle da, kommen die Mitglieder von Volk 2 nacheinander dazu und leben friedlich zusammen mit den Mitgliedern von Volk 1. Dann tritt plötzlich Volk 3 geschlossen auf und greift Volk 1 an usw. Die SchülerInnen überlegen sich, wie sie diesen Ablauf rein musikalisch darstellen können: Setzen die SpielerInnen gleichzeitig oder nacheinander ein? Wie verändert sich die Musik eines Volks, wenn dieses angegriffen wird? Wie klingt es, wenn ein Volk das andere nach und nach verdrängt? Dabei orientieren sich die SchülerInnen an ihren Abenteurer-Pässen, auf denen notiert steht, wie ihr Volk sich bei Bedrohung oder im Angriff verhält.
Anschließend wird das musikalische Ergebnis reflektiert: Wurde die Geschichte überzeugend dargestellt? War das klangliche Ergebnis zufriedenstellend? Können einzelne Parameter (Dynamik, Klangfarbe etc.) noch differenzierter eingesetzt werden? Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Beginn und Ende des Stücks gelegt werden sowie auf die Gestaltung der Übergänge zwischen den einzelnen Gruppen.

 

WEITERFÜHRENDE HINWEISE

Die Grundideen vieler Videospiele lassen sich analog simulieren. Vielleicht haben die SchülerInnen eigene Ideen, welche Spiele sie im Unterricht nachstellen und vertonen möchten? Abschließend bietet es sich an, reale Musikbeispiele bekannter Videospiele zu besprechen und ggf. mit den eigenen Ergebnissen zu vergleichen. Die Musik der meisten bekannten Games ist im Internet zu finden, dort gibt es auch Aufzeichnungen kompletter Konzerte mit Videospielmusik. Viele bekannte Videospielmusiken wurden auch vom London Philharmonic Orchestra auf der CD The Greatest Video Game Music eingespielt.

Einzel-Beitrag als PDF erhältlich, inkl. sämtlicher Arbeitsblätter und Noten.