Wassermusiken
Ein kleiner Tank für musikalische Wasssergedanken und Aktionen
Meinhard Ansohn
Wasser ist Leben. Musik ist Bewegung. Das Leben auf der Erde wird bestimmt durch das Wasser. Kein Wunder, dass Musik einiges über das Wasser zu erzählen hat.
Zwischen Tröpfeln und Rauschen
Das Wasser kann sehr unterschiedlich klingen. Von zarten, vereinzelten Tropfenklängen bis zum wilden Meeresrauschen. Machen wir doch eine Wortsammlung. In der Klasse können wir das am besten in Gruppen machen. Jede Gruppe findet mindestens drei Verben, die Wasserklänge beschreiben und notiert sie auf einzelne Karten. Dann pinnen wir die Karten an eine Wand oder heften sie mit Magneten an die Tafel. Klassen, die wenig deutsche Wörter kennen, bekommen fertige Karten gezeigt und überlegen, was das für Klänge sein könnten, die ein Verb beschreibt.
Manche Wörter für Geräusche müssen wir sicherlich über Beispiele erklären, z. B. wenn der Bach über ein Wehr herunterfällt, dann … das Wasser. Wenn wir einen Strohhalm ins Glas halten und pusten, nennen wir das Geräusch … usw.
Wir sortieren dann die Karten z. B. von leise bis laut oder von wenig bis viel. Die einzelnen Klänge imitieren wir mit Stimme oder Fingern und Händen.
Eine kleine Klanggeschichte könnten wir dann mit Karten legen und vokal und/oder perkussiv einen Regentag mit den Geräuschen gestalten. Oder einen Spaziergang von der Quelle eines Bachs bis zur Mündung im nahen Fluss musi- kalisch darstellen. Oder ein Stündchen am Meer, wenn der Wind auffrischt, hörbar machen.
Klänge in Instrumentalspiel übersetzen
Auch mit Musikinstrumenten lassen sich die Wasserklänge gut übersetzen. Wir teilen uns wieder in Gruppen auf und überlegen, welche Instrumente wir für unser selbst improvisiertes bzw. komponiertes Stück wählen. Saiteninstrumente werden oft für Wassermusik benutzt. Trommelfelle eignen sich gut zum Fingertippen oder Darüberstreichen, Rasseln, weich angeschlagene Metallofone usw. Auch Materialien wie Plastikfolien geben manchmal etwas klanglich Interessantes her und natürlich – mit aller Vorsicht und ohne Gedränge im Raum – Gläser oder Flaschen mit Wasser.
Die Abfolge des Stücks sollte nach der Ausprobierphase festgelegt und geübt werden. Vielleicht fällt jemandem beim Spielen ein Titel ein wie Wasser 2.0 oder Elefanten an der Tränke oder Regentag im Vogelhäuschen oder Sturm auf dem Baggersee. Und immer daran denken: Ein Musikstück beginnt mit Stille, hat einen Anfang und einen Schluss. Dazwischen kann alles Musikalische passieren, was wir wollen.
Klänge des Wassers digital bearbeiten
Für ältere Grundschulkinder ist das Tüfteln mit Aufnahmen und Rechnern auch schon eine interessante Angelegenheit. Mit einem Handy und ein paar Ideen, wie das Wasser zu Hause in Küche und Bad aufgenommen werden und dann mit einer kostenlosen Software wie z. B. Audacity oder WavePad bearbeitet, rhythmisiert, dynamisch und klanglich verändert werden könnte, gibt es spannende Wasserwelten zu gestalten. Hier nur mal der Tipp, auf der Website von Christian Doil zu schauen, was er schreibt und was klanglich herausgekommen ist. Mein Anhörtipp: Regentropfen und Tropfsteinhöhle (http://christiandoil-musik.de).
Wassermusiken
Musik, die dem Wasser abgelauschte Klänge enthält oder imitiert, gibt es eine ganze Menge. Wir hören uns mal drei an. Eines beschreibt eine sanft sprudelnde Quelle mit der Harfe, die oft für Wassermusik eingesetzt wurde. Eines heißt Les flots = die Wellen. Sie fließen, von den Streichinstrumenten gespielt, immer wieder neu gleichmäßig im Fluss dahin. Und eine Querflöte der Berliner Gruppe Die Elefanten führt uns in Meerestiefen und lässt dort die winzig kleinen Pflanzen, den Plankton, schweben, kreisen, wirbeln.
Programmmusik ist immer wieder eine Entdeckungstour durch spannende Übersetzungen von Lebenswelten und ihrer Wahrnehmung in Klangverläufe. Für die eine Klasse mag es interessant sein, die Instrumente selber zu erkennen, weil sie gerade eingeführt wurden. Die andere malt lieber den Verlauf der Musik, um dann zu vergleichen, wie unterschiedlich wir die Musik erlebt haben. Oder wir bewegen uns im Raum, tänzerisch improvisierend, es gibt so vieles, das uns die Musik näherbringen kann, dass es eigentlich schade wäre, eine einzige Ak- tionsform festzulegen. Herauskommen soll in diesem Fall eine tiefere Wahrnehmung der fließenden Klangverläufe.
Händels Wassermusik ist keine Wassermusik?
Die berühmteste Wassermusik ist die von Georg Friedrich Händel. Sie hat mit Wasser überhaupt nichts zu tun, aber es gibt mehrere Berichte darüber, dass wahrscheinlich am 17. Juni 1717 eine Folge von Orchesterstücken, eine Suite, am Ufer der Themse aufgeführt wurde, wo König George I. mit seinem Gefolge auf mehreren Booten vom Wasser aus zuhörte. Der festlichen Musik kann man in vielen Fassungen heute lauschen, ohne Erkenntnisse über das Wasser oder den Fluss Themse zu erhalten. Bewegtes Schwingen ist allemal dabei. Und was diese Musik z. B. mit Tanzen zu tun hat, zeigt eine nette Einführung in der ARD-Mediathek (Händels Wassermusik – Comic Einführung). Darüber könnte ein Kind oder eine kleine Gruppe einen Vortrag halten.
Musik besteht selber aus Wellen
Tatsächlich besteht jeder klingende Ton aus Wellen. Es gibt Töne aus runden, eckigen, zackigen Wellen, die weicher oder schärfer klingen. Laute Töne sind aus großen Wellen, leise aus kleinen. Tiefe Töne sind aus langen Wellen und hohe aus kurzen. So hat ein langer hoher Ton sehr viele kurze Wellen, ein langer tiefer Ton weniger und längere Wellen. Ein bisschen kann man das sehen, wenn man Gitarrensaiten anzupft und schaut, wie sie schwingen oder zittern. Mit einer App wie dem Spektroskop kann man diese Wellen sehen und direkt messen, wie viele Schwingungen pro Sekunde ein Ton hat. Staunen kann man dann auch, wie viele Nebengeräusche in der Luft sind, auf die man meistens gar nicht achtet, die aber im feinen Spektrometer aufgezeichnet werden. (In unserem Archiv gibt es auch eine schöne Unterrichtseinheit von Michael Fromm, wo man Wellen direkt sehen kann, Sand auf einem Trommelfell oder Tropfen im Licht und mehr. MUSIK in der Grundschule Heft 3/2004.)
Liedermangel über das Wasser
Kommen wir zum Singen? Nicht so einfach. Noch in den 1960er Jahren waren die Peheiros mit dem Lied Wasser ist zum Waschen da, falleri und fallera, auch zum Zähneputzen kann man es benutzen in vielen radiogewöhnten Ohren. Textteile und Melodie sind heute aus der Zeit gefallen (YouTube: Die 3 Peheiros – Wasser ist zum Waschen da). Wenn der Beduine mit Kamel nach Ägypten zieht, braucht er kein Öl. Das ist kein Text für die Grundschule 2023. Sehr schade, weil das „Lustige“ über den Gebrauchswert von Wasser ansonsten kaum eine gut singbare Liederheimat findet.
Das Wasser ist ein Sorgenkind geworden. Sturmfluten und Starkregen verleiden uns an vielen Orten das schöne Singen über den Regen. Und da, wo alles trocken ist und auf Regen wartet, dürfen wir bald aus Spargründen nicht mal mehr die Bäume gießen, wofür manche Lieder noch vor zwanzig Jahren motivierende Begleitung waren (z. B. Margarete Jehn: Ich bin der Baum vor deinem Haus). Zumindest müssen wir immer öfter prüfen, wie wir uns mit den Wassern von Babylon (YouTube: Rivers of Babylon) oder dem Regen, der zu fallen beginnt (YouTube: When the Rain Begins to Fall), fühlen, wenn wir es selbst singen wollen.
Fünf kleine Fische, die schwammen im Meer? Als Spiel und Nonsenslied geht’s gerade noch. Das Lied vom langen Regen? Poetische Sprache, die heute kaum noch verstanden wird. Wade in the Water? Steht in der Kritik der unzulässigen kulturellen Aneignung. Bring me little Water, Sylvie? Steht in der Kritik der Gendercorrectness. Vielleicht können wir regional dem Wasser noch angestammte Lieder zusingen, im Norden Wo die Wellen trecken an den Strand oder im Süden Jetzt fahr’n wir übern See. Der Strand ist in Gefahr und der See steht bald unter Naturschutz, aber da lässt sich’s vielleicht noch singen. Und wer an Spree, Elbe, Isar oder Donau wohnt, kennt sicher die Lieder, die noch akzeptabel sind. Ein türkisch-deutsches Lied über den Wasserkreislauf: Dere geliyor. Viele türkische Volkslieder („türküsü“) handeln von der Liebe und benutzen dafür Bilder aus der Natur. Heute kennen türkische Kinder und Jugendliche diese traditionellen Lieder kaum noch, aber manche schätzen es sehr, wenn wir ihnen durch das Wiedererlernen und Singen dieser Lieder Respekt entgegenbringen.
Dere geliyor heißt wörtlich „Der Fluss kommt“. Im Original heißt es später, „nimm mich mit dorthin, wo mein Liebster ist“. Für den deutschen Text über den Weg des Wassers sind hier der Bachlauf, der Fluss, das Meer, das Ausbreiten über z. B. Verdunstung und Nebel und der Regen, der das Wasser wiederbringt, angesprochen.
Der Rhythmus im Neunachteltakt (türkisch: aksak, hinkender Rhythmus, ein Wort, das für alle ungeraden Taktarten wie 5/4 oder 7/8 gilt) klingt schwieriger als er ist. Wir teilen ihn auf in 2 + 2 + 2 + 3. Wir klatschen drei Viertel, dann eine Achtel und eine Viertel: bahm bahm bahm babahm. Oder: Dabe dabe dabe dadabe, das sind dann neun Achtel. Wenn das gut vorbereitet ist, können wir den Text gut sprechen. Danach singen wir den Liedtext in diesem Rhythmus. Solche „hinkenden“ Rhythmen gibt es vor allem in Liedern und Tänzen vom Schwarzen Meer im Norden der Türkei. Wegen der stark wechselnden Winde sind dort die Meereswellen sehr „krisselig“ kräuselnd, manchmal schäumend, anders als im Süden, wo das Mittelmeer eher weite sanfte Wellen macht. Dort sind Tänze wie der Halay zu Hause, der ein wellenförmiges Auf und Ab der tanzenden Gruppe beschreibt.
Mr. Probz Waves – Mit den Wellen mitspielen
Mr. Probz ist ein niederländischer Sänger und Rapper. 2013 war Waves der Hit des Jahres in fast allen europäischen Ländern, in Deutschland 1 Million mal verkauft, vor allem in der DJRemix Version mit Robin Schulz aus Osnabrück. Mr. Probz besingt die Wellen, die ihn von seiner Liebe wegziehen, während er standhalten möchte.
Mit einem Keyboard oder einem chromatischen Stabspiel kann man den immergleichen Grundrhythmus auf den vier Grundtönen mitspielen, während sich die Musik dazwischen immer mehr auffüllt wie eine steigende Flut: F – – Eb – – – – / C – – Des – – – –
Immer wieder der erste von acht Schlägen und dann der vierte. In einer kleinen Bewegung mit dem Schlägel von rechts nach links und von links nach rechts. Oder beim Keyboard von weiß nach schwarz ebenfalls von rechts nach links und von links nach rechts in langsamem Schwingen.
Wasser war schon immer da
Bevor es Menschen gab, war schon Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff da. Im Wasser sind Pflanzen und Tiere entstanden. Wir müssen trinken, weil wir sonst vertrocknen. Menschen in heißen Gegenden beten (bitten) um Wasser, damit Leben weiter möglich ist. Auch davon erzählen Musikstücke. Die A-cappella-Version des Toto-Hits Africa vom Chor Perpetuum jazzile zeigt so eine Regenbeschwörungszeremonie mit Fingern und Händen, bevor der Gesang einsetzt (YouTube: Perpetuum jazzile: Africa).
Ähnliches passiert mitten im Stück Cloudburst des Komponisten Eric Whitacre (YouTube: Eric Whitacre conducts Cloudburst). Ab Minute fünf kommt nach vielen anderen gesungenen Stellen der ersehnte Regen. Mit etwas Geduld kann man beim Hören des Textes von Octavio Paz aus Mexiko und der Chormusik, die der Komponist aus dem Wüstenstaat Nevada selber leitet, etwas Besonderes fühlen, das mit der ganzen Welt zu tun hat. Wasser ist und bleibt die Grundlage allen Lebens und das kann Musik erlebbar machen.