Musik in der Grundschule – Ausgabe 3/19 Leseprobe

Wie klingt der Herbst?

Meinhard Ansohn

Wenn wir in der Grundschule an Herbst denken, denken wir überwiegend an Bilder vom Wetter – stürmisch, neblig, sonnig, wechselhaft, kühl, regnerisch, dunkel – und von der Natur – Herbstfrüchte, Äpfel, Kastanien, farbiges Laub auf Bäumen und Wegen, kahl werdende Äste. Manche reale Hörempfindung erscheint paradox: Das Gefühl von Herbstruhe lässt die Stadt etwas stiller erscheinen, aber das dämpfende Laub ist verschwunden und lässt mehr Lärm durchdringen.

Dreimal Herbstmusik

In einer kleinen Einheit „Musik und Kunst mit Herbststimmungen“ spüren wir den besonderen Stimmungen des herbstlichen Wetters nach. Es gibt oft Nebel, häufig sogar dichten Nebel. Es gibt Sonnenschein auf gelb-rot-braun-goldenem Laub, aber nur mäßig warm und manchmal nur für wenige Stunden. Es gibt Wind, der Staub und Laub aufwirbelt oder Regentropfen vor sich her treibt.
Zunächst sammeln wir Assoziationswörter (Nomen, Adjektive und Verben), die uns zu Herbstwetter einfallen, auf Kärtchen oder auf Schildern, die wir ungeordnet an das Smartboard schreiben oder an die Tafel heften, wie z. B.: Nebel – dunkler – kühler – Wind – Sturm – Sonnenstrahlen – farbiges Laub – Regen – feucht – Kastanien – Ruhe – ungemütlich … Dann schreiben wir in eine vorbereitete Tabelle mit drei Spalten jeweils das Wort Herbst und hören zunächst eine Musik, von der wir nur so viel verraten, dass es eine vom Herbst inspirierte Musik ist, also eine Herbstmusik.
Nach ein- oder zweimaligem Hören setzen wir zur Musikstimmung passende Wortkärtchen bzw. virtuelle Kärtchen am Smartboard unter Musik 1. Dasselbe tun wir mit Musik 2. Es kann sein, dass ein schon verbrauchtes Kärtchen hier auch passen würde. Dann duplizieren wir das Wort bzw. schreiben es noch einmal auf eine Karte und legen sie unter Musik 2. Dasselbe tun wir mit Musik 3. Sollten uns weitere Wörter ein- fallen, die uns erst durch das Hören in den Sinn kommen, werden auch diese ergänzt.


Wenn die Zuordnungen erledigt sind, hören wir alle drei Musikstücke bzw. Ausschnitte noch einmal. Im Unterrichtsgespräch kann jeder noch einmal sagen, was in der Musik am deutlichsten zur Zuordnung der Wörter geführt hat.
In der nächsten Stunde bekommen alle ein DIN-A4-Blatt mit drei leeren Quadraten. Die Aufgabe ist nun, zur ersten Musik (später zur zweiten und zur dritten) etwas zu malen, zu zeichnen oder zu schraffieren. Wichtig ist vor allem, eine oder mehrere Farben zu finden, als Nächstes eventuell Formen und erst als Letztes etwas Gegenständliches. Niemand muss zeichnen oder malen können. Farben oder Formen sagen schon viel über die Stimmung der Musik aus. Andererseits können manche Kinder sich nur durch Gegenständliches ausdrücken. Dann ist auch zeichnen oder malen erlaubt.
Das Nahziel der Aktion ist, zunächst zu drei Musikstücken je ein „Bild“ auf dem Blatt zu haben. Als nächstes geht es um eine Wanderausstellung, wo die Kinder im Raum herumgehen können und sich die Bilder der anderen anschauen. Nach einigen Minuten gibt es einen Gong und ein Kind, das eine Dreierserie beschreiben möchte, sagt etwas über die Bilder: Welches Bild gehört zu welcher Musik und woran wird das erkannt? Strukturen, Farbstimmungen, Dinge usw. Das geht mit anderen Bildserien so weiter.
Im Abschlussgespräch sprechen wir darüber, welche Mittel häufig gewählt wurden um eine Herbststimmung bildnerisch auszudrücken und welche nur selten oder einmalig dabei war. Die „besten“ Bilder können für eine Weile an einer Wand im Klassenzimmer hängen bleiben, damit sie noch etwas wirken können. Vielleicht sind manche der kommenden Tage sogar geeignet, wettermäßig auf den Bildern erkannt zu werden.

Neblige Musik spielen

Nebel ist undurchsichtige Luft. Die winzig kleinen Wasserteilchen, die fast überall auf der Erde in der Luft sind, werden bei kühlen Temperaturen zu feinen Tröpfchen, die das einfallende Licht so streuen, dass man schlechter hindurchsehen kann.
Etwas Ähnliches können wir auch mit Tönen machen. Wir nehmen uns drei Metallofone und/oder drei Keyboards, nicht zu helle Töne, die schnell zu schrill klingen. Mit den Keyboards können wir „flächige“, „liegende“ Sounds auswählen. Die Metallofone werden mit weichen Schlägeln und ganz kleinen Bewegungen gespielt. Jemand fängt an, mit einem Ton, z. B. e’, dann kommen die Anderen dazu. Allmählich dehnt sich der Tonraum aus, Stückchen für Stückchen, nicht zu schnell. Es wird probiert, wie weit man vom e’ weggehen kann, damit es nicht mehr neblig klingt. Wer angefangen hat, gibt dann einem weiteren Kind, das eine Triangel, einen kleinen Gong oder Stabglocken bedient, das Zeichen für seinen Einsatz als Sonnenstrahl. Das improvisierte Nebelspiel verklingt. Dann darf eine weitere Gruppe von Kindern dieses Spiel spielen. Weitere Vorschläge für Instrumente aus dem Musikraum können ausprobiert werden, aber nicht zu viele auf einmal. Es geht um leises, dichtes, sich vermischendes Tönespielen. Unsere schönsten Fassungen nehmen wir bei Gelegenheit auf. Bei einem Musikabend können wir sie vielleicht wiederholen und den Zuhörenden live vorspielen.

 

Septembermorgen – im Nebel ruhet noch die Welt

Dieses Gedicht von Eduard Mörike (1804–1875) gehört zum Klassikerrepertoire deutscher Dichtkunst. Es gibt eine der typischen Herbststimmungen in einer auch für Kinder zugänglichen Sprache wieder. Landkinder erleben noch alljährlich morgendlichen Herbstnebel. Stadtkinder kennen nur noch von Klassenfahrten den fallenden Nebelschleier, eine „gedämpfte Welt“, die am Mittag „herbstkräftig“ in „warmem Golde“ des von einer tief stehenden Sonne beschienenen Herbstlaubs aufleuchten kann.
Das Gedicht, das früher Generationen lang auswendig gelernt wurde, hat auch und gerade heute einen Wert, um Naturerfahrung und damit Respekt vor der Natur zu ermöglichen. Als Lied im Musikunterricht kann das Lernen dieses romantischen Textes schon in der Grundschule gut verankert werden.
Zugangsweisen sind auf mehrere Weisen möglich: Sei es, man betrachtet Fotos oder gemalte Bilder von herbstlichen Landschaften. Oder man liest den Text erst Stück für Stück und spielt danach die im Sechsachteltakt schwingende Melodie vor. Oder man übt erst einmal summend die Melodie ein, um dann den Text dazu zu setzen. Oder man übt vor dem Singen des Textes die Phrasen einzeln auf Tonsilben ein. Wer gern eine musikalische Aufgabe bei hauptsächlich zum Singen gedachten Liedern stellt, kann auf die Dreierfiguren der Melodie verweisen und sie zählen lassen: Wie oft kommt eine Dreierfigur vor (6x ohne das Intro), wo gibt es in der Mitte Durchgangsnoten nach oben (3x) oder nach unten (gar nicht), wo gibt es Wechselnoten nach oben (1x) oder unten (2x)?

 

 

 

Rhythmus des Monats

Unsere Rhythmen des Monats sind nach ein paar Jahren des Ausprobierens kleine Archive geworden, auf die die Kinder zurückgreifen können, wenn sie eigene rhythmische Instrumentalstücke „komponieren“ möchten. Zu jedem Thema haben sie die Möglichkeit, entweder eine freie Gruppenkomposition zu entwickeln, indem sie Instrumente ausprobieren, Klänge finden und Klangverläufe ausprobieren, improvisieren und festlegen, oder indem sie einen unserer als Karten abgelegten „Rhythmus des Monats“ als Raster für ihr Stück verwenden. Unser November-Rhythmus existiert seit 2016. Er ist auf fünffache Weise aufgeschrieben:
Als ryhthmischer Sprechvers mit dem Thema „heftiger Herbstwind“,
als Strich-Schrift mit langen und kurzen Strichen,
in „du-bi“ Sprache für Handtrommel Spielende (z. B. Conga oder Tubano),
als rhythmische traditionelle Notation,
als Smiley-Notation zu den Takt-Zählzeiten.
Er kann bei Bedarf auch leicht in Rhythmuslernsprachen wie Kokimoni oder Taketina übersetzt werden, wenn sie im Lern-Repertoire der SchülerInnen vorkommen.
Die SchülerInnen erarbeiten sich über eine der Schriften den Spruch im System dieser zwei Takte. Dann klatschen sie ihn oder übertragen ihn auf andere Körperklänge (Brustkorb, Bauch, Bein, Fußstampfen) und wählen Instrumente, die sie für passend erachten.
Wer trommeln möchte, kann in der du-bi-Zeile zwei Hinweise finden: Silben, die mit d beginnen, sind für die „starke“ Hand, also in der Regel rechts. Silben die mit b beginnen, sind in der Regel links. Silben mit u werden als Bass-Schlag getrommelt, Silben mit i als offener Randschlag.


Die TrommlerInnen spielen den Rhythmus als festes „Gerüst“ für das Stück. Wer kleine Perkussionsinstrumente auswählt, kann entweder genau im Rhythmus mitspielen oder im Kanon dazu oder aber ganz frei – ohne diesen Rhythmus – improvisieren. So lange es das „Gerüst“ durch mindestens eine Trommel gibt, fällt das Stück nie auseinander. Wenn eine Reihenfolge festgelegt ist, können weitere Modifikationen überlegt werden: Soll es dynamische Varianten geben, also das Spiel mit laut und leise? Soll der Text dazu gesprochen werden oder sogar an Stellen gesungen? Kommen rhythmisch nicht definierte Klänge dazu wie die Springdrum, der Heulschlauch oder ein Regenmacher? (S. 8) Wenn es mehrere Gruppen gibt, die den Rhythmus des Monats verwenden, lohnt es sich, die verschiedenen Stücke zu vergleichen. Welche Abläufe sind ähnlich, welche verschieden? Ist einer dabei, der das Wetter der letzten Woche musikalisch darstellen könnte?

Kleiner Archiv-Tipp

Es gibt noch Ausgaben der MUSIK in der Grundschule, die einzeln nachzukaufen sind. Über die Seite www.musikindergrundschule.de findet man dieses Archiv, wo zum Thema Herbst beispielweise in den Heften 3/1997 Im Wald, 3/1998 Erntezeit, 3/2005 Gemüseball im Herbst, 3/2009 Baumzeit, 3/2010 Tiere im Wald, 3/2011 Geister, Gespenster, Geschichten, 3/2018 Feste feiern sehr unterschiedliche Unterrichtsansätze und Materialien versammelt sind.

 

 

Informationen zu den „Herbstmusiken” dieses Beitrags und CD-Tipps:
Claude Debussy: Prélude Nr. 2, 2e livre: Feuilles mortes – lent et mélancolique, komponiert zwischen 1910 und 1913 für Klavier dt.: „abgefallene Blätter – langsam und melancholisch“
assoziativ: düster, neblig-kühl
Klavier: Friedrich Gulda 1969; Dauer: 3:23 CD: Préludes 1 & 2, Universal Music
Astor Piazzolla: Otoño porteño (Las cuatro estaciones porteñas), komponiert 1970 als letztes Stück des Werks für Violine, Klavier, E-Gitarre, Bass und Bandoneon
dt.: „Herbst in Buenos Aires (Die vier Jahreszeiten in Buenos Aires)“; viele Bearbeitungen
assoziativ: Sonnenstrahlen ohne Wärmkraft, diesig, angenehm, versponnen
Gitarre: Göran Söllscher 1996; Dauer: 3:55 CD: Piazzolla for two, Deutsche Grammophon
Alexander Glasunow: Ossenje (Wrenema Goda op. 67; Nr. 4), komponiert 1900 als Ballettmusik (15 Szenen) und als Orchestersuite (4 Sätze)
dt.: Herbst (Die Jahreszeiten)
assoziativ: wild, windig bis stürmisch, kleine Wirbelwinde
Orchester: Ernest Ansermet & Orchestre de la Suisse Romande 1967; Dauer: 9:29 CD: Glazunov: The Seasons – Concert Waltz 1 & 2, Decca
Musik 2 und 3 sind auch auf einer hervorragenden 4CD-Box mit Programmmusik über die Jahreszeiten zu finden, die als Zusammenstellung The Four Seasons der Deutschen Grammophon von 2003 zwar vergriffen ist, aber noch unter deutschem Titel Die vier Jahreszeiten – Große Klassik mit Klassik-Radio im Klassik-Radio-Shop erhältlich ist.